Interview mit Mathias Ganz, Geschäftsführer der Bootsmanufaktur GanzBoats in Zürich und Mike Stähelin, Creativ Director und Inhaber der Werbeagentur cocomu, in Zug und Solothurn.
Wie sind Sie dazu gekommen, in diesem Bereich zu arbeiten?
Mathias: Ich bin passionierter Segler und habe durch meine Ausbildung eine Affinität zu Motoren. Da ist das Motorboot eine interessante Kombination. Und durch den Kauf der Werft im Tiefenbrunnen durch meinen Vater im Jahr 2000 bin ich zu der perfekten Location gekommen.
Mike: Vor etwa fünfzehn Jahren entwickelte ich mehrere Projekte aus den Bereichen Signaletik, Web-Usability und Grafic User Interface. Ich erkannte die Wichtigkeit eines funktionierenden Grafikdesigns und erfolgreichen Nutzererlebnisses. Das Thema ist seither ein wichtiger Begleiter in Projekten und Forschung.
Was sind die Herausforderungen in Ihrer Arbeit?
Mathias: Entwicklungen im Motorbootbereich sind sehr schleppend und oft wenig innovativ. Man ist auf sich allein gestellt und muss alles selber erfinden. Das ist für eine kleine Manufaktur wie die unsere eine grosse Herausforderung, aber auch eine Chance, da wir sehr beweglich und autonom handeln können.
Mike: Sensibilität für visuelle Strukturen und psychologische Prozesse, vor allem wenn es um grundsätzliche und imagebildende Projekte geht. Viele sehen Design als Stilfrage und haben eine klare Meinung davon, was ihnen gefällt. Solche Projekte benötigen teils viel Überzeugungsarbeit, um die Projektziele für den Kunden zu übersetzen.
Die Ovation 7.6 wird in ihrer Form gelobt und wurde nebst einem i-NOVO Design award für den German Design Award und kürzlich auch für den Best of Boats Award sowie den Showboat Award nominiert. Was zeichnet Ihrer Meinung nach die Ovation 7.6 gegenüber den früheren Modellen oder den Mitbewerbern aus?
Mathias: Das Boot vereint die Vorteile der Vorgänger und hat dank aufwändiger technischer sowie optischer Details Vorteile gegenüber anderen Booten. Mit diesen Vorteilen fällt es aus dem Rahmen. Das bemerkt natürlich auch die Fachjury. Die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit im selbst lenzenden Cockpit und die ergonomische Anordnung der Bauteile machen aus der Ovation 7.6 einen einmaligen Daycruiser oder Tender.
Mit der Ovation 7.6 und der Evolution 7.7 haben Sie sich vom bekannten Bootsdesign der Ovation-Serie 6.8 gelöst und bieten jetzt drei unterschiedliche Designkonzepte an. Wie erklären Sie diese Veränderung?
Mathias: Mit den früheren Modellen wollten wir auffallen und polarisieren. Jetzt wollen wir perfekt werden und begeistern. Wir wollen eine breitere Masse ansprechen. Und wir haben viel dazugelernt. Die neuen Modelle sind offshore-tauglich und auch entsprechend zertifiziert. Die Schweiz allein reicht nicht mehr aus, um angemessen zu wachsen.
Ein Highlight der neuen Modelle ist unter anderem das Touch Boat Management mit einem grossen farbigen Touchscreen. Nebst einer individuellen grafischen Darstellung von Fahrdaten wechselt das System automatisch betriebsspezifische Einstellungen anhand des gewählten Fahrmodus. Worin besteht der effektive Nutzervorteil gegenüber klassischen Betriebsanzeigen?
Mathias: Das System ist keine Anzeige im herkömmlichen Sinne. Es ist eine integrierte Lösung, eine Vernetzung der elektrischen Systeme an Bord. Es hat den wesentlichen Vorteil, dass die Informationen zentral zusammenlaufen und nicht viele Insellösungen nötig sind. Der Nutzer hat so alle Informationen an einem Ort erfasst. Intelligente Schaltungen ermöglichen zudem sicherheitsrelevante Voreinstellungen. So schaltet z. B. das Fahrlicht nachts automatisch an.
Mike: Das Touch Boat Management ist ein gutes Beispiel für die Vernetzung des Benutzers mit dem technischen Produkt. Der Fahrer erhält, ohne dass grosses Vorwissen nötig ist, die für ihn relevanten Daten grafisch aufbereitet. Im Gegenzug passt das System anhand des Fahrcharakters (Modus) automatisch Feinjustierungen an. Ein wichtiger Vorteil ist die nebst der innovativen Lösung nötige Nutzerbereitschaft. Hier trifft das System den Nerv der Zeit. Als konkretes Beispiel sehen wir gerade in der Automobilindustrie einen ähnlichen Wandel, wenn auch noch nicht überall so konsequent.
Welche Fehler sind die in Ihren Augen am häufigsten begangenen in der Konzeption und im Design von User-Interface-Lösungen?
Mathias: Jeder Hersteller betrachtet immer nur seine Sichtweise und bietet gegebenenfalls eine Schnittstelle zu anderen Produckten, für deren Funktion er aber keine Haftung übernimmt. Der Nutzer ist also ständig damit beschäftigt, die richtigen Updates der verschiedenen Lösungen zu suchen und aufeinander abzustimmen.
Mike: Ich stelle leider immer wieder fest, dass konzeptionell zu wenig auf den Nutzer eingegangen wird. Kreative Ansätze oder neue Möglichkeiten sind in ihrer Lösung nicht gebrauchstauglich und verfehlen die Chance, den Nutzer zu begeistern. Im Design setzen viele immer noch den Fokus zu stark auf stilistische Fragen und vergessen oft grundsätzliche Designregeln oder auch psychologische Aspekte. Eine „coole oder schöne“ Print- oder Onlinekommunikation funktioniert gegebenenfalls nur bedingt und bleibt bezüglich Zielerreichung unter ihren Möglichkeiten.
Thema „Usability-Design“ (Benutzerfreundliches Design): Wenn Sie vergleichen, was für einen Stellenwert der Bereich Usability in der Konzeption und im Design hat und welchen Stellenwert er Ihrer Meinung nach haben sollte – wo stehen wir da aktuell?
Mathias: Es gibt durchaus Hersteller, die sich grosse Mühe geben, den Nutzer und die sich ständig ändernden Anforderungen zu verstehen. Da wäre z. B. VW, die mit dem Käfer schon vor 80 Jahren versucht haben, einen Wagen zu bauen, der in der Wüste genauso zuverlässig wie in Sibirien betrieben werden könnte. Heute versuchen fünf oder gar zehn Hersteller, das autonome Fahren zu entwickeln, das ist gewissermassen ein Wettrüsten, das natürlich den Fortschritt beschleunigt.
Mike: Im Produktdesign ist Usability Design schon sehr lange ein essenzieller Aspekt, der zur Gebrauchstauglichkeit des Produkts führt. Im Grafikdesign ist eine verbreitete Sensibilisierung für Usability Design noch nicht zu weit zurück. Erst mit den breiten visuellen Möglichkeiten, Redaktionssystemen und ersten Shop-Lösungen vor knapp 20 Jahren kamen hier in der Schweiz erste Webdesigner mit Web-Usability (Internet-Benutzerfreundlichkeit) in Berührung. Während sich der Begriff „Usability“ bei Produkt- und Web-Designern seit Längerem etabliert hat, fehlen leider vor allem in internetnahen und grafischen Fachgruppen teils bis ganz die Sensibilität und das Wissen dafür.
Wie gingen Sie mit der Usability Evaluation (Beurteilung und Bewertung der Benutzerfreundlichkeit) in diesem Projekt um?
Mathias: Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Ich kann natürlich nicht jede Situation simulieren oder mir vorstellen. Darum ist das System bewusst so konzipiert, dass es mitwachsen kann. Ich glaube, es ist wichtig, dass möglichst viel offen und anpassbar bleibt.
Mike: Ein wichtiger Teil dieser Arbeit war die sehr enge Zusammenarbeit mit dem Kunden. Wir haben aber auch Befragungen mit aussenstehenden Personen durchgeführt. Interessant ist, dass sich die Bedürfnisse der verschiedenen Befragungsgruppen prak-
tisch mit den Kundenzielen und den erarbeiteten Lösungen decken.
Welche Methode der Usability Evaluation ist in Ihren Augen unterbewertet?
Mathias: Es ist sicher wichtig, dass möglichst verschiedene Nutzer das System benutzen und bespielen. Die jüngeren Nutzer haben ganz andere Informationsbedürfnisse und verhalten sich auch anders auf einem Boot. Es ist nicht der gestandene Kapitän allein, der die Entwicklung vorantreiben kann. Denn er kommt ohne Assistenzsysteme zurecht.
Kontaktieren Sie uns bei Interesse einer kostenlosen Beratung: 032 621 61 01 oder contact@cocomu.ch.
Erschienen: shortknowledge Magazin, Ausgabe November 2016
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